Allerdings entschied sich Scheer nicht für das
"Raumstations"-Verfahren. Das ist aus der Sicht der damaligen Zeit
verständlich. Kennedy hatte zwar seinen berühmten
"Startschuß" für das Mondprogramm noch nicht gegeben,
als Scheer am 26. 3. 1961 das Manuskript des ersten PR-Romans
ablieferte. Sein Zeitplan "zum Mond innerhalb von gut Jahren" war
aber ähnlich knapp - wer damals einen Raumfahrtexperten nach
dem ersten bemannten Mondflug fragte, bekam nicht selten die
Antwort "in diesem Jahrhundert wohl nicht mehr". Selbst von Braun
rechnete mit einer längeren Phase, in der man sich "langsam an
den Mond herantasten" würde. APOLLO war ein technisch gewagtes
Crash-Programm, STARDUST ebenfalls.
Scheer erwähnt die Schwierigkeiten, die es beim Zusammenbau
des Raumschiffs in der Umlaufbahn gäbe. Der Bau des Schiffes
auf der Erde sei letztlich preiswerter. Für den Stand der 60er
Jahre stimmt das sogar. Ob Menschen unter den Bedingungen der
Schwerelosigkeit überhaupt zu koordinierten Arbeiten
fähig sein würde, war noch umstritten. Scheer war, wie
man an den (im doppelten Wortsinn) üblen Raumerfahrungen
seiner "ZbV."-Helden erkennt, eher skeptisch. Selbst nach den
ersten Raumflügen wußte man nicht, ob es möglich
sei, im Raumanzug außerhalb eines schützenden
Raumfahrzeugs frei schwebend Montagearbeiten zu verrichten, wie es
heute beinahe Routine ist. Die Erfahrungen der
GEMINI-Raumflüge sprachen nicht unbedingt dafür. So nahm
die NASA 1968 von ihren Plänen abstand, SKYLAB erst im Orbit
auszurüsten, und schickte die Station lieber komplett
fertiggestellt ins All. (Es war ironischerweise SKYLAB, bei dem
sich Astronauten erstmals erfolgreich als "Außenbordarbeiter"
bewährten, um Schäden an der Station zu beheben.)
Als 1961 das APOLLO-Programm (und die "Perry Rhodan" Serie)
gestartet wurden, waren folgende Mondflugverfahren in der
Diskussion.
1. Die schon erwähnte elegante Raumstationsmethode. Nachteile:
sie würde relativ viel Zeit in Anspruch nehmen, wäre
anfangs sehr teuer gewesen (später hätten sich die
Anfangsinvestitionen bezahlt gemacht) und es war noch
ungewiß, ob man im Orbit überhaupt ein Raumschiff
montieren könne.
2. Die "Gewaltmethode": Den Bau einer gewaltigen Trägerrakete
namens Nova (weitaus größer und leistungsfähiger
als die schon in Entwicklung befindliche Saturn 5), für ein
auf der Erde gebautes Raumschiff, das groß genug wäre,
direkt auf dem Mond zu landen und von dort wieder im unmittelbaren
Flug zu Erde zurückzukehren. Nachteil: Diese Methode wäre
die bei weitem kostspieligste gewesen. Außerdem war es mehr
als fraglich, ob die "Monsterrakete" Nova überhaupt vor 1970
flugbereit zu machen wäre (von einem bemannten Start ganz zu
schweigen).
3. Die "Rendezvous im Erdorbit"-Methode (EOR) (1961 von Wernher von
Braun favorisiert): Das Mondschiff, das direkt auf der
Mondoberfläche landen und wieder starten kann, wird auf der
Erde gebaut und unbetankt mit eine Saturn 5 gestartet. Eine weitere
Saturn 5 bringt den Treibstoff für den eigentlichen Flug in
den Orbit, wo das Mondschiff betankt wird. Nachteil: das
Tankmanöver wäre sehr riskant gewesen, und außerdem
bräuchte man für jeden Mondflug gleich zwei
Raketen.
4. Die "Beiboot"-Methode ("Lunar Orbit Rendezvous" LOR), von
einen eher untergeordneten Ingenieur des Langley-Forschungszentrums
namens Dr. John Houbolt Anfang 1961 in die Debatte geworfen. Eine
einzelne Saturn 5 bringt ein relativ kleines Raumschiff, das nicht
für eine Mondlandung ausgerüstet ist, und eine extrem
leicht gebaute Mondfähre auf Mondkurs. In der Mondumlaufbahn
steigen zwei Astronauten in die Mondfähre um, landen, kehren
mit der Oberstufe der Mondfähre zum Mutterschiff zurück,
mit dem sie dann zur Erde zurückkehren würde. Trotz
vieler Bedenken entschloß sich die NASA für diese dann
später wirklich beim APOLLO-Projekt verwendete Methode.
Für den außenstehenden Raumfahrtenthusiasten sah es 1961
jedoch so aus, als hätte man nur mit der "Gewaltmethode" eine
realistische Chance, bis ca. 1971 einen Mondflug möglich zu
machen. Deshalb ging auch Scheer im Prinzip von ihr aus.
Kommen wir nun zur Trägerrakete. Die STARDUST benutzt die Erststufe der Pluto-D-Rakete, die sich schon beim Bau der Raumstation bewährt hätte. Ein Vergleich dieser Rakete zur Saturn 5 und zum Space Shuttle ist recht interessant:
Saturn V: |
N 1: |
Stardust: |
Space Shuttle |
|
Gesamthöhe: |
110,6 m |
107 m |
91,6 m |
47 m (Orbiter: 37,2 m) |
Startgewicht incl. Nutzlast: |
2840 t |
2682 t |
6850 t |
2350 t |
Nutzlast: |
||||
für Erdumlaufbahn (ca. 250 km) |
115 t |
110 t |
ca. 200 t |
110 t (davon 34 t Fracht) |
Für Mondflug: |
47 t |
45 t |
64,2 t |
ca. 4 t (mit Centaur-Zusatzstufe) |
Erste Stufe: |
||||
Höhe: |
42 m |
30 m |
36,5 m |
47 m (Booster: 45,4 m) |
Anzahl der Triebwerke: |
5 |
30 |
42 |
3 (+ 2 Feststoffbooster) |
Startschub: |
3400 t |
4400 t |
13600 t |
2850 t |
Brennschlußhöhe: |
61 km |
? |
88 km |
116 km (Booster: 60 km) |
Brennschluß- Geschwindigkeit: |
9650 km/h |
? |
10115 km/h |
27900 km/h (mit OMS) |
Daten zur Erststufe sind beim Space Shuttle nicht ganz vergleichbar, er ist technisch gesehen eine "eineinhalb-Stufenrakete".)
Die "Pluto-D"-Erststufe ist also wahrlich ein gewaltiges
Geschoß, die in ihren Startschub sogar die "Nova" (geplante
5500 t) übertrifft. Andrerseits ist sie eher primitiv: das
Verhältnis von Gesamtmasse zur Nutzlast in Erdumlaufbahn ist
bei der Saturn 5 etwa 24,7 : 1, beim Shuttle deutlich
günstiger, nämlich 21,36 : 1, bei der Ariane 5 ist das
Verhältnis sogar noch etwas besser, etwa 20 : 1. Bei der Pluto
D ist das Verhältnis 34,25 : 1. Das entspricht in etwa dem
Verhältnis der meisten damaligen Trägerraketen und ist
immerhin sehr viel besser als bei der damals, 1961,
größten Rakete, der russischen "Wostok A1", mit ca. 48 :
1. (Das heißt: 48 Tonnen Rakete und Treibstoff waren
nötig, um eine Tonne Nutzlast in den Orbit zu wuchten.)
Die Leistung der einzelnen Pluto-D-Triebwerke ist vergleichsweise bescheiden: jedes von ihnen bringt 323,8 t Schub. Das Saturn 5 Triebwerk F-1 schaffte dagegen 680 t, ein (sehr viel kleineres) Shuttle-Haupttriebwerk SSME immerhin 1600 kN, also ca. 162 t. Das leistungsstärkste Triebwerk anno ´61 war das H-1 der amerikanischen "Atlas"-Rakete, es brachte ca. 60 t Schub. Es fällt auch auf, daß die Pluto D ca. 2,4 mal mehr Startschub als die Saturn 5 braucht, um nur das 1,4 fache an Nutzlast zum Mond und das 1,7 fache auf die Umlaufbahn zu bringen. Sie ist also nicht gerade effizient.Warum war Scheer, sonst in technischen Dingen nicht gerade als zimperlich bekannt, bei seiner Trägerrakete so konservativ? Er liebte es, seine Romane mit technischen Daten zu "würzen", um sie authentischer wirken zu lassen. Da er hierbei, im Gegensatz zu vielen anderen SF-Autoren, leeres Kauderwelsch ("Techno Babble") tunlichst vermied, blieb ihm auch kaum eine andere Wahl, als diese Daten aus dem "Standardwerk" "Station im All" abzuleiten. Diese Daten waren aber 1961 nicht mehr ganz aktuell, denn von Braun ging, als er das Buch schrieb, vom Stand der Technik von 1952 aus. Schon rein äußerlich ähnelt die STARDUST 1 auf Ingolf Thalers Rißzeichnung stark der in "Station im All" abgebildeten Rißzeichnung einer schweren Trägerrakete. Sie ist nur deutlich stärker als diese. | |
NOVA - Entwurf: W. v. Braun |
Wie aber kam Scheer aber auf einen so ausgefallenen Brennstoff
wie N-Triäthyl-borazon? Die Verbindung n-Triethyl-boran
(korrekte Schreibweise, Borazon ist eine diamantähnliche
Bornitrid-Modifikation) gehört zur Klasse der Alkylborane, die
tatsächlich vorzügliche Raketentreibstoffe abgeben. Die
Nachteile: Sie sind aggressiv, explosionsgefährlich und sehr
giftig. Außerdem ist dieser Treibstoff extrem teuer. Nun,
Wernher von Braun schlug als Brennstoff für seine Rakete 1952
Hydrazin vor. Hydrazin, genauer gesagt, N,N-Dimethyl-Hydrazin, hat
den Vorteil, das es sich mit HNO3 vermischt spontan
entzündet (eine "hypergole" Brennstoffkombination). Man
braucht also keine Zündvorrichtung, die Rakete wird
(theoretisch) zuverlässiger und einfacher - und extrem schnell
"Alarmstarbereit". Die hohen Schubwerte einer LOX/Kerosin-Rakete
erreicht man mit Hydrazin und Salpetersäure aber nicht.
Deshalb experimentierte man Ende der 50er Jahre mit Akylboranen, um
die vor allem für militärische Raketen wertvollen
Eigenschaften des Hydrazins mit einer rund 1,8 fachen Schubkraft zu
verbinden.
Schon eine HNO3-Hydrazin-Rakete ist jedoch extrem
unfallgefährlich: Eine von der rauchenden Salpetersäure
zerfressene Dichtung oder ein kleines Leck im Brennstofftank - die
Brennstoffkomponenten mischen sich - sie entzünden sich
selbsttätig - und die Rakete fliegt (anders als geplant) in
die Luft.
Am 25. Oktober 1958 kam es zum bisher schwerster
Raumfahrt-Unfall. Nach Angaben von James Oberg handelte es sich
dabei um eine R-16, dem Nachfolgemodel des "Arbeitspferdes" R-7,
das schon den ersten Sputnik in den Orbit gebracht hatte. Die R-16
sollte wie die R-7 sowohl als militärische
Interkontinentalrakete wie als Trägerrakete verwendet werden -
als einer der ersten spektakulären Einsätze war der Start
der ersten Marssonde vorgesehen. Die Rakete hob bei einem
Startversuch in Anwesenheit des Chef der Raketentruppen der
Sowjetarmee, Feldmarschall Nedelin, nicht ab. Eine große Zahl
Techniker näherte sich der Rakete, um nach dem Fehler zu
suchen. Um Zeit zu sparen, enttankte man die Rakete nicht.
Vermutlich steckte ein Techniker das Zündkabel in den Stecker
der zweiten Stufe. Die zweite Stufe zündete. Sie
zerstörte die Tanks der ersten Stufe, deren "hypergole"
Brennstoffe HNO3 und Hydrazin äußerst
heftig explodierten. Fast 100 Menschen, die sich nicht im
Startbunker aufhielten, starben, darunter Nedelin. ("Offiziell"
starb er bei einem Flugzeugabsturz, die R-16-Katastrophe wurde
geheim gehalten.). Fast alle Gebäude und Anlagen im Umkreis
von mehreren Kilometern wurden zerstört. Die "brisante" und
überdies giftige Brennstoffkombination trug sicher ihrer Teil
zu den hohen Zahl von Todesopfern bei, auch wenn ältere
Angaben, das Unglück sei auf eine undichten HNO-Leitung die
durch den Hydrazin-Tank führte, oder ähnliche rein
"technische" Ursachen zurückzuführen, offenbart nicht
stimmen.
Später setzte die UdSSR bei allen Großraketen
jahrzehntelang fast ausschließlich auf die
Treibstoffkombination HNO3/Kerosin, bis auf die UR
500 "Proton", die tatsächlich einigermaßen betriebsicher
mit HNO3 und Dimethyl-Hydrazin betrieben werden
kann - allerdings führt das giftige Hydrazin bei Unfällen
zu schweren Unweltproblemen.
Zurück zur STARDUST: Ihr mutmaßlicher Brennstoff,
n-Triethyl-boran, ist wie alle Alkylborane noch reaktionsfreudiger
als Dimethylhydrazin und entzündet sich unter Umständen
schon an der Luft. Alkylborane sind außerdem noch viel
giftiger als Hydrazine! Für eine bemannte Großrakete
wären sie damit wohl zu gefährlich, ganz abgesehen von
ihrem hoben Preis. Möglicherweise entschied sich Scheer
für n-Triethyl-boran, weil es der damals "neueste" Brennstoff
war.
Die Erststufe der "echten" Mondrakete Saturn 5 flog mit gewöhnlichen Kerosin als Brennstoff und LOX als Oxydator. Kerosin, das noch nicht einmal die für Düsenflugzeuge nötige Qualität haben mußte, war der billigste verfügbare Brennstoff (beim Kraftstoffverbrauch einer Trägerrakete nicht ganz unwichtig) und läßt sich leicht und sicher handhaben. Die beiden Oberstufen verwendeten die "Idealkombination" flüssiger Wasserstoff und flüssiger Sauerstoff, die heute auch in den Haupttriebwerken des Space Shuttles und der Ariane-Raketen verwendet wird. Bei der Saturn 5 setzte man auch wegen der besseren Massenverteilung - der Schwerpunkt beim Star sollte möglichst weit unter liegen - das gegenüber flüssigem Wasserstoff schwere Kerosin ein. | |
Saturn 5 |
Die Raketeningenieure bekamen, obwohl schon sehr früh mit
Wasserstoff als Treibstoff experimentiert wurde, den schon bei -
252,78 Grad Celsius siedenden Flüssigwasserstoff nur schwer in
den Griff. Vor allem die Verdampfungsverluste machten ihnen lange
zu schaffen.
Die erste Flüssigwasserstoff-Rakete, die "Centaur," flog, nach
einer schier endlos lange Serie von Fehlstarts, erst 1963.
(Später erwies sich die "Centaur" als sehr zuverlässig.
Sie leistet noch bis heute als Oberstufe der "Atlas-Centaur", der
"Titan 3E" und der "Titan 4" gute Dienste. Eine modifizierte
"Centaur" sollte auch im Space-Shuttle-Programm Verwendung finden,
kam wegen des "Challenger"-Unfalls aus Sicherheitsgründen
nicht zum Einsatz. Die UdSSR hatte bis zur "Energia" in den 1980er
Jahre überhaupt keine operationelle Wasserstoff-Rakete, selbst
die europäischen "Nachzügler" waren in dieser Hinsicht
schneller. Wie man "Unternehmen Stardust" entnehmen kann, kannte
Scheer die Probleme mit dem Wasserstoff.
Die Trägerrakete wäre technisch machbar gewesen. Allerdings ist sie trotz ihrer Größe nach dem Stand von 1961 konservativ (und dem von 1971 technisch veraltet). Selbst unter völlig anderen Ausgangsbedingungen hätte eine echte Mondrakete technisch wohl nie der Pluto-D entsprochen, schon gar nicht mit dieser gefährlichen und teueren Treibstoffkombination. Allerdings: mit dem Grundprinzip der "massiven Triebwerksbündelung" und der typischen Kegelform ähnelt sie äußerlich der N1,die für das Mondlandeprojekt der UdSSR vorgesehen war. Die N1 war allerdings deutlich leichter, eben "moderner". | |
N1 |
Das Raumschiff "STARDUST" selber wirkt, im Gegensatz zur Rakete,
schon rein äußerlich für ein Anfang der 60er Jahre
"entworfenes" Raumschiff ziemlich modern. Es entspricht in vielem
dem Space Shuttle-Orbiter. Scheer lehnte sich sicher auch hier
wieder an die wiederverwendbare Frachtrakete aus "Station im All"
an, berücksichtigte aber auch modernere Entwürfe. Meines
Erachtens geht die STARDUST in erster Linie auf den damals von der
US-Air Force geplanten Raumgleiter X 20 "Dyna-Soar" zurück,
der von einer leistungstarken Trägerrakete in einer
Erdumlaufbahn getragen werden sollte. Es ist nicht ganz klar, was
Scheer mit den 64,2 Tonnen Nutzlast des Mondschiffs meinte.
Sicherlich nicht die Frachtkapazität. Ich gehe davon aus,
daß er - den Gepflogenheiten der Raumfahrttechnik
entsprechend - mit der "Nutzlast" einer Rakete die Masse gemeint
ist, die sie zum Ziel bzw. in die vorgesehene Bahn trägt. Der
Shuttle hat eine "Nutzlast" von 110 t, daß heißt, das
System trägt 110 t in einen 320 km-Orbit. Davon fällt das
meiste jedoch auf den Orbiter selber, die Nettofrachtkapazität
für den Orbit beträgt nur 34 t. (Das ist, ganz nebenbei,
auch der Grund, weshalb "Wegwerfraketen" Satelliten immer noch
wirtschaftlicher in den Orbit bringen, bei ihnen liegen Nutzlast
und Nettofrachtkapazität sehr eng beeinander.) Die STARDUST
wiegt auf Mondkurs also voll ausgerüstet und mit Besatzung
64,2 t.
Das ist überraschend wenig. Die schweren (auf dem Mond
völlig überflüssigen) Tragflächen, und der
Hitzeschild für das ganze Schiff machten das Raumschiff noch
viel schwerer als ein vergleichbares "reines Raumschiff". Für
ein "trockenes Raumschiff" der Größe der STARDUST sind
64 t durchaus plausibel. Die 47 t des APOLLO-Systems
(Kommandokapsel, Versorgung- und Triebwerksteil, Mondfähre mit
Landestufe) waren aber gut zur Hälfte Treib- und
Betriebsstoffe. Überschlägig gerechnet hätte die
STARDUST, da sie "am Stück" landet und startet, mehr als das
dreifache ihrer Leermasse an Treibstoff und Oxydator gebraucht. Ich
bin mir ziemlich sicher, daß auch K. H. Scheer diese
überschlägige Berechnung gemacht hat und zu dem Ergebnis
"zu schwer" gekommen ist. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Clark
Darlton, der bei einer vergleichbaren Schwierigkeit im Roman "Das
Weltraumabenteuer" einfach einen nicht näher bezeichneten
"Wundertreibstoff" erfand, wählte er einen
glaubwürdigeren Ausweg: das "kernchemische
Atomstrahltriebwerk".
Auch diese Bezeichnung bleibt rätselhaft. "Kernchemisch" ist
an sich ein Widerspruch, da sich die Chemie nicht um die Atomkerne
kümmert. Plausibel wäre "kern-chemisch", d. h. die
STARDUST hat einen kombinierten chemischen und kernenergetischen
Antrieb. "Atomstrahl" ist redundant, ich nehme an, es steht nur da,
weil es so gut klingt.
Das die STARDUST einen Kernenergieantrieb hat, paßt in die
"Atom-Euphorie der Zeit. Damals plante man Atom-Flugzeuge,
Atom-Lokomotiven und sogar Atom-Autos. Kernkraftwerke sollten in
einfachen Fabrikhallen ohne irgendwelche Schutzvorrichtungen mitten
in den Städten errichtet werden. K. H. Scheer folgte diesem
Zeitgeist, wie man vor allem aus seinen "ZbV"-Romanen, in denen
auch alles und jedes Atomantrieb hat, erkennen kann. Als technisch
versierter Schriftsteller schilderte er - im Gegensatz zu den
"Atom-Euphorikern" - auch die Nachteile dieser Technologie.
Radioaktive Verseuchung ganzer Landstriche, Strahlenschäden
und der Kampf um die allmählich knapper werdenden
Uranvorräte sind wichtige Probleme dieser alten
SF-Agententhriller. Es gibt kaum einen frühen "ZbV" ohne
Strahlenunfall (Spötter meinen deshalb, ZbV stünde
für "Ziemlich bald verstrahlt".)
Das Triebwerk der STARDUST entspricht im Prinzip jenen
"Nuklarraketen", an denen sowohl in der USA (Projekte ROVER und
NERVA, Mitte der 70er Jahre aus Geldmangel gestoppt) und in der
UdSSR gearbeitet wurde. Bei diesen "einfachen" nuklearen
Triebwerken wird flüssiger Wasserstoff mit einer Temperatur
von minus 253 Grad Celsius in einen kleinen Reaktor gepumpt, wo er
dann durch die Kernreaktion um mehrere tausend Grad erhitzt und
durch eine herkömmliche Düse ausgestoßen wird. Die
Probleme liegen im Detail: Zu schwere Reaktoren, die große
Hitze, die herkömmliche Metalle zum Schmelzen bringt,
Materialversprödung durch Strahlung usw. - und was ist mit der
Abschirmung? Was geschieht bei einem Unfall? Den
Entwicklungsingenieuren gelang es in über 30 Jahren Arbeit am
"Atomtriebwerk" nicht, diese Probleme überzeugend zu
lösen. Scheer war sich dieser Problemen bewußt - und er
wählte einen für ihn typischen "Ausweg". Im Gegensatz zu
den prinzipiellen technischen und naturwissenschaftlichen
Problemen, bei denen sich Scheer stets um Glaubwürdigkeit
bemühte, griff er bei "Werkstoffproblemen" gerne zu
"Wundermaterialien". ("Wie konnte der Roboter nur dieser gewaltigen
Explosion widerstehen?" - "Kein Problem, er besteht aus mit
Karl/Herbert-Verbundwerkstoffen verstärktem Scheerium.") Bei
der relativ "zeitnahen" STARDUST - sie hätte, wenn sie
tatsächlich 1971 einsatzklar sein sollte, eigentlich 1961
schon in der Entwicklung sein müssen (Scheer war sich dessen
durchaus bewußt) - hielt er sich vergleichsweise zurück.
Er beschränkte sich auf seine mittlerweile legendären
"molekülverdichteten Legierungen" die die Arbeitstemperatur
von 3920 Grad Celsius gut überstehen. (Da ich mal Chemie
studiert habe, wundere ich mich nur, wie man Metalle, die ja keine
molekulären Vwerbindungen sind, "molekülverstärken"
kann.)
Fazit: "Unternehmen Stardust" gehört ohne Zweifel zu den
"besseren" "Hard-SF"-Romanen. K. H. Scheers Raumschiff ist - wenn
man die Zeitumstände bedenkt - durchaus plausibel und
durchdacht. Man hätte es jedoch schon aus Gründen des
Katastrophenschutzes sicher nie so gebaut. (Zwei mit je mindestens
20 kg Plutonium - vielleicht sogar erheblich mehr - bestückte
Reaktoren auf etwas, das nur als unberechenbare 4000t-Bombe
bezeichnet werden kann.) Das nicht alles so ganz realistisch war,
wußte er selber wohl ganz genau. Schließlich ist "Perry
Rhodan" ja keine ausgearbeitete Projektbeschreibung.
Viele naturwissenschaftlich-technisch orientierte SF-Romane lesen
sich so spannend wie eine Betriebsanleitung oder riechen so sehr
nach Forschungslabor, daß man unwillkürlich nach
Chemikalienspritzern auf dem Papier sucht. Scheer dagegen schaffte
es in "Unternehmen Stardust" Spannung, interessante Charaktere,
phantastisches Geschehen und reichlich Technik auf einen Nenner zu
bringen. Die STARDUST war damit eine gute Trägerrakete
für eine SF-Romanserie, die einmal die größte der
Welt werden sollte.