PERRY-RHODAN-Kommentar 2004


Vorstoß ins Unbekannte ...


Spöttische Zeitgenossen sprechen mitunter vom Hydra-Syndrom, denn genau wie im griechischen Mythos ein abgeschlagener Kopf der Lernäischen Schlange durch zwei nachwachsende ersetzt wurde, so tauchen mit jeder beantworteten Frage stets zwei (oder mehr) neue auf. Es hätte verwundert, wenn im Zusammenhang mit Thoregon nicht ebenfalls das Hydra-Syndrom greifen würde.

Im Zentrum des Kessels von DaGlausch hat der PULS zu schlagen begonnen, wahrnehmbar als psionisches Pochen alle 32 Minuten und 16,44 Sekunden. Aber: Wir wissen weder, ob es mit dieser Zeitspanne eine besondere Bewandtnis hat, noch können wir die Existenz des Mega-Doms als Teil der Brücke in die Unendlichkeit richtig einschätzen. Und noch weniger klar ist, was es mit der von Lotho Keraete gemachten Aussage genau auf sich hat, die aus dem Kessel abgepumpte Energie habe den Zugang zum Mega-Dom der Galaxis Segafrendo geöffnet. Klar ist nur, daß ein Mega-Dom kein Einzelobjekt darstellt – vielmehr scheint die Existenz eines solchen mit der erstaunlichen Zone des PULSES verknüpft zu sein.

Warum und wieso? – Keine Ahnung.

Am 2. Mai 1291 NGZ jedenfalls drang die SOL in den Mega-Dom ein, vergleichbar einem Passantum-Träger in einen »normalen« Pilzdom. Der Auftrag: Die Anweisungen des Kokons, einer »hyperenergetisch programmierten Plombe«, in Segafrendo umsetzen, weil sonst das unwiderrufliche Ende der Menschheit und der Koalition Thoregon die Folge sei ...

Wirklich berauschende Aussichten!

Es gibt kaum einen Zweifel daran, daß wir über Thoregon weiterhin nur Bruchstücke wissen, bestenfalls die Spitze des Eisberges, während der Rest immer noch unterhalb der Wasserlinie verborgen ist.

Thoregon ist, so mußten wir erfahren, kein Einzelphänomen. Ausgangspunkt einer solchen Entwicklung ist das natürliche Entstehen eines Absoluten Vakuums; einer Zone, auch PULS genannt, die aufgrund ihrer besonderen Bedingungen als exuniversal umschrieben wird, die außerhalb liegt, und auf die weder Kosmokraten noch die Kosmonukleotide oder das GESETZ einen Zugriff haben. Ein Bereich, vom Rest des Multiversums abgrenzt durch eine Art Ereignishorizont, in dem keine Quantenfluktuationen stattfinden ...

Hier heißt es tief durchatmen. Denn was bedeutet das genau? Wurde bislang solches nicht als unmöglich angesehen, unvereinbar mit den bisherigen Vorstellungen physikalischer und hyperphysikalischer Gesetze? Absolutes Vakuum – ha!

Andererseits: Kosmologische Weltbilder, wie sie von Kalup, Waringer, Hamiller oder anderen entworfen wurden, waren immer Momentaufnahmen des jeweiligen Standes der Forschung, Modelle, die theoretisch zu erfassen versuchten, was die empirische Beobachtung an Daten lieferte. Solche Modelle sind hilfreich, um sich die Zusammenhänge einigermaßen zu veranschaulichen, aber sie müssen stets als das gesehen werden, was sie sind – nicht die Wirklichkeit an sich, sondern nur der mehr oder weniger gelungene Versuch ihrer Beschreibung respektive mathematischen Darstellung oder philosophischen Betrachtung.

Schritt um Schritt hatte man sich auf diese Weise vorgearbeitet, gelangte zu relativistischen und quantenmechanischen Erkenntnissen, erweiterte sie auf Hyperraum und Hyperenergie, erfaßte die Komplexität verschiedener Universen des Multiversums, erfuhr von den Aspekten des Zwiebelschalenmodells, dem Moralischen Kode und seinen Kosmonukleotiden, schließlich sogar von der »möbiusbandähnlichen« Struktur – und erreichte doch nie »das Ende der Fahnenstange«.

Etwas anderes müßte auch sehr verwundern und käme Hybris gleich. Zwar wurde in der Geschichte schon häufiger behauptet, endlich die »letzte Erkenntnis« gewonnen zu haben, doch derartige dogmatische Anmaßung wurde über kurz oder lang eines Besseren belehrt – und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. So überhöht und entrückt der Status von Kosmokraten im Vergleich zu einem Menschen auch sein mag, nicht einmal sie können für sich beanspruchen, so die inzwischen gefestigte Überzeugung, den Wahren Kosmos in seiner Gesamtheit zu kennen! Ihre Modelle werden fortgeschrittener sein, noch komplexer, noch umfassender, aber auch ihnen sind unüberschreitbare Grenzen auferlegt.

Eine davon haben wir nun offensichtlich kennengelernt: Das »Außerhalb« eines Thoregons ist ihnen unzugänglich, dort versagen ihre Möglichkeiten einer Einflußnahme, und nicht zuletzt aus diesem Grund kämpfen sie dagegen. Wie es aussieht, in den meisten Fällen mit Erfolg, denn im Normalfall haben wir es mit höchst instabilen Phänomenen zu tun; so natürlich das Entstehen eines PULSES auch sein mag, es handelt sich um einen zeitlich befristeten Vorgang, dessen Ende quasi vorprogrammiert ist – sofern es nicht zu einer Stabilisation oder gar Ausweitung kommt.

Noch liegen zu wenige Informationen über die wahre Natur vor, als daß es Antworten auf die vielen Fragen geben könnte. Fest steht, daß die befristete Existenz eines Thoregons nicht nur durch Superintelligenzen stabilisiert, sondern sogar ausgedehnt werden kann. Denn nichts anderes impliziert die im »Abkommen von DaGlausch« getroffene Festlegung, daß die sechs beteiligten Superintelligenzen die Zone des PULSES zwar als »Zufluchtsort« verwenden, jedoch weder ausdehnen noch durch die Schaffung weiterer Thoregons erweitern oder ergänzen dürfen.

Bedeutet die Existenz des Mega-Doms von Segafrendo aber nicht, daß dort ebenfalls ein Thoregon vorhanden sein muß beziehungsweise entstehen könnte? In welchem Zusammenhang steht dieses dann aber mit dem von den sechs Superintelligenzen stabilisierten? Denn daß ein solcher besteht, ergibt sich durch den Auftrag der SOL ...

Das Hydra-Syndrom kommt voll zu Wirkung, die Fragen überwiegen. Hoffen wir, daß die SOL überhaupt Gelegenheit bekommt, nach Antworten zu suchen! Momentan sieht es eher düster aus ...


Rainer Castor