PERRY-RHODAN-Kommentar 2054


EXTREMWELTEN


In der »fiktiven« Welt des Jahres 2000 mehren sich an Hand indirekter Nachweismethoden die Zeichen dafür, daß extrasolare Planeten vermutlich gar nicht so selten sind. Direkt beobachtet wurde zwar noch keine dieser Welten, und es bleibt abzuwarten, ob das jemals möglich sein wird – erst recht mit Blick auf solche, die in der einen oder anderen Weise als »erdähnlich« zu umschreiben wären. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß es diese Welten gibt, ist inzwischen deutlich größer, als es noch vor wenigen Jahren von einigen Wissenschaftlern verkündet wurde. Gewißheit haben wir zwar nicht, aber immerhin ...

In der »realen« Welt des PERRY RHODAN-Kosmos sieht die Sache natürlich anders aus: Hier wimmelt es nicht nur von Sonnensystemen und Planeten an sich, sondern auch die Zahl der bewohnbaren oder gar der Erde gleichenden ist immens groß. Ganz zu schweigen von den überaus exotischen Schauplätzen, die der Phantasie der Autoren in nunmehr fast 40 Jahren Seriengeschichte entsprungen sind und wohl in mehr als nur einem Fall ohne Zweifel unter die Rubrik »dichterische Freiheit« eingeordnet werden müssen.

Wir haben es beispielsweise mit ausgedehnten Planetensystemen bei blauen Riesensonnen zu tun, lasen wiederholt von grünen Sternen, dicht besiedelten Kugelsternhaufen und wahrhaften Exoten: Planeten wie Herkules, »größer als die Sonne«, Schwerkraftgiganten wie Gol im Wega-System mit sage und schreibe 916facher Erdgravitation, einer Hohlwelt namens Horror und was des Erstaunlichen mehr war. Und mal ehrlich: Machten und machen nicht gerade diese Exoten einen Großteil des Reizes aus?

Manche der Beschreibungen sind durch den mitunter unzureichenden Wissensstand der jeweiligen Entstehungszeit zu erklären: Gerne genanntes Beispiel ist hier die Venus mit ihrem Dschungelcharakter, die für Jahrzehnte nicht zuletzt deshalb ignoriert und (Leider? Glücklicherweise?) totgeschwiegen wurde, weil Erkenntnisse aus »realer« und »fiktiver« Welt miteinander kollidierten.

Inzwischen ist durchaus die Einsicht gewachsen, daß diese beide Welten eben nicht 1:1 aufeinander abzubilden sind, daß im PERRY RHODAN-Kosmos die Mondlandung Rhodans »tatsächlich« im Jahr 1971 stattgefunden hat und demzufolge auch eine Venus existieren kann, die nicht mit der der »fiktiven« Welt des Jahres 2000 übereinstimmt. Nicht zu vergessen die Tatsache, daß – sollte es entgegen anderslautenden Meldungen dennoch eine andere Venus gewesen sein – diese dank Ökoformprojekten spätestens im Jahr 1304 NGZ genau so aussehen dürfte, wie sie geschildert wurde ...

Mehr oder weniger Erdähnliches läßt sich recht einfach umsetzen: Wenn die physikalischen Daten der jeweiligen Sonne und des entsprechenden Planeten nicht allzusehr von denen des Solsystems abweichen, kann recht problemlos angenommen werden, daß sich das Ergebnis ebenfalls nicht so sehr unterscheidet. Meere, Kontinente, Berge, Flora und Fauna – bei alldem kann sich ein Autor an dem Bekannten orientieren und es im Rahmen einer gewissen Bandbreite variieren (nicht zuletzt vor dem Hintergrund, daß beispielsweise schon auf der Erde die Natur alle nur möglichen Nischen zu besetzen weiß, einschließlich jener, die noch vor wenigen Jahren als extrem lebensfeindlich betrachtet wurden).

Bei den erwähnten Extremwelten sieht es schon ein bißchen anders aus. Hier dreht es sich um Bedingungen, die den bisher bekannten Erfahrungsschatz ebenso deutlich überschreiten wie eine einfache Extrapolation von Welten unseres Sonnensystems. Zwar bewegen sich die grundsätzlichen physikalischen Daten durchaus im nachvollziehbaren Rahmen (beziehungsweise sollten es tun, wobei Ausnahmen die Regel bestätigen), um jedoch im Detail konkretere Dinge aussagen zu können, bedürfte es wohl der exakten Simulation durch Großrechner.

Mit anderen Worten: Fabulierkunst ist gefragt, und hierbei wäre es wohl ziemlich fehl am Platz, alles auf die exakte Goldwaage legen zu wollen. In diesem Zusammenhang ist auch folgender Hinweis zu verstehen: Die Autoren der PERRY RHODAN-Serie schreiben zwar Science Fiction, was durchaus mit einem erhöhten Anspruch einhergeht; aber bei aller Liebe zum Detail handelt es sich beim Ergebnis nicht um Sachbücher, sondern um Romane, und zwar um solche für eine Leserschaft, deren Gros sich keineswegs zwangsläufig mit wissenschaftlichen akademischen Titeln schmücken kann.

Deshalb bleibt es nicht aus, daß vieles vereinfacht wird (oder gar vereinfacht werden muß). Inwieweit das »zulässig« ist oder nicht, mag an anderer Stelle diskutiert werden. Bestes Beispiel hierzu sind einige Dinge, die im Zusammenhang mit Extremwelten wie Ertrus in die Romane einfließen. Sicher könnten (oder müßten?) wir durchgängig die physikalisch korrekte Bezeichnung »Gewichtskraft« und die Einheit »Newton« verwenden, selbst auf die Gefahr hin, dann unter Umständen gefragt zu werden, weshalb denn, bitte schön, auf der Badezimmerwaage »Kilogramm« abzulesen ist.

In gleicher Weise könnten auch sämtliche Aspekte eines erhöhten Luftdrucks, einschließlich solcher Dinge wie die Gasgesetze, notwendige Dekompressionszeiten, maximaler Partialdruck, Sauerstoff- und Stickstofftoxität, Auswirkung all dessen auf den menschlichen Körper, vom Tiefenrausch bis hin zur platzenden Lunge, und so weiter und so fort Berücksichtigung finden – und das mit einer korrekten Fachterminologie, die mit dem manchmal gescholtenen »Technobabbele« nun ganz bestimmt nichts zu tun hat.

Aber die Frage ist, ob das von einem Roman, der eben kein Sachbuch ist und überdies mit dem eingeschränkten Umfang eines Heftes auskommen muß, verlangt oder geleistet werden kann. In der »realen« Welt des PERRY RHODAN-Kosmos wird es also weiterhin Extremwelten geben, doch ihre Beschreibung und Darstellung wird ebenso selbstverständlich eine sein und bleiben, die auch und nicht zuletzt mit einem gewissen Augenzwinkern zu sehen ist.

Rainer Castor