PERRY-RHODAN-Kommentar 2129


DIE ARKONIDISCHE MENTALITÄT (I)


Tauaag al-Ribini hatte in Die Arkon-Tagebücher – im Jahr 2124 bei Galaxian Traveller Books, Eureka, auf Terra veröffentlicht – versucht, sich der arkonidischen Mentalität anzunähern, und nicht mit Kritik an der terranischen Einstellung gespart:

Wenn ein Terraner behauptet, er habe die Arkoniden verstanden, kann es sich nur um einen Spinner handeln, einen Wichtigtuer, der den Daheimgebliebenen mit der »großen, weiten Milchstraße« imponieren möchte, die er während einer Vier-Tage-Pauschalreise ins Arkon-System »erfahren« haben will.

Seit beinahe einem Jahr lebe ich nun unter ihnen. Manchmal gelingt es mir, den nächsten Satz meines Gesprächspartners zu erahnen oder seine »rudimentäre« Mimik ausnahmsweise richtig zu interpretieren. Und manchmal wird meine Antwort als »geistreich«, »erfrischend« oder »interessant« kommentiert. Um einen der aktiven Arkoniden zu manipulieren, was bei den Personen sowieso utopisch ist, die über den Extrasinn verfügen, benötigt es der seltenen Momente angespannter Konzentration, die ich scherzhaft »das terranische Zhy« bezeichnen möchte.

Die einzige Möglichkeit, die mir bekannt ist, das einzige »Tor« zum Wesen der Arkoniden, ist ihr Stolz: der vollkommen berechtigte Stolz auf die großartigen Leistungen ihrer Ahnen. Um dieses Gefühl, das die arkonidische Gesellschaft schon seit Jahrtausenden prägt und durchdringt, zu verstehen, erscheint es zwingend notwendig, selbst einer Kultur anzugehören, die auf ähnlichen Grundwerten aufgebaut ist (wie zum Beispiel die altarabische, der ich entstamme). (PR-Roman 2089)

Als die Menschen erstmals mit Vertretern der arkonidischen Zivilisation konfrontiert wurden und wenige Jahre später den Vorstoß ins Zentrum des Großen Imperiums unternahmen, gab es zwar ein Staunen über Leistungen wie das Synchronsystem der drei Arkon-Welten oder eine Faszination hinsichtlich der technischen Errungenschaften. Jung, aufstrebend und tatendurstig, wie die Terraner nun einmal waren, hielt sich aber das Verständnis der damals nach Arkonzeitrechnung knapp neunzehn Jahrtausende alten Kultur ebenso in Grenzen wie zum Beispiel die Akzeptanz der angetroffenen Feudalstruktur als Kernbestandteil der Arkon-Gesellschaft.

Wie Atlan mehr als einmal kritisierte, war davor auch Perry Rhodan nicht gefeit: ... nicht zum ersten Mal drängte sich mir der Eindruck auf, dass Perry die wahre Mentalität der Arkoniden nicht verstand, sondern sich von Vorurteilen leiten ließ. Er hatte nur das abgehalfterte Tai Ark’Tussan der Degenerierten und das Regime des Robotregenten kennen gelernt – am so geprägten Bild hatten auch Thora und Crest wenig verändern können. Mehr als deutlich stand mir seine Aussage bei unserem Duell auf Hellgate vor Augen: »Kleine Schlafmütze, du«, hatte er gesagt. »Während meiner Arkon-Einsätze bin ich mit hundert Leuten von deiner Sorte auf einmal fertig geworden.«

Natürlich hatte er mich reizen wollen – aber in der damaligen Stresssituation, in der es um Leben und Tod ging, hatte er unbewusst mehr von seiner Einstellung offenbart, als ihm sein logischer Verstand vorschrieb. Als ausgebildeter Kosmo-Psychologe wusste ich diesen »Ausrutscher« einzuordnen, zumal ich die Larsaf-Barbaren kannte. Ich hatte Jahrtausende Zeit gehabt, sie zu studieren!

Im Gegensatz zu ihnen, die auf die winzige Zeitspanne ihrer westlich geprägten Staatsformen mit der Hervorhebung von Menschenrechten und -würde, von individueller Freiheit und verfassungsrechtlich-demokratischer Grundordnung sicher zu Recht stolz waren, konnte ich nicht verhindern, bei den Begriffen Liberté, Égalité, Fraternité auch an die fürchterlichen Auswüchse der Französischen Revolution zu denken (...)

Sicher, in den Reihen meiner 495 Vorgänger auf dem Kristallthron hatte es – ich brauchte nur an Orbanaschol III. zu denken! – ebenfalls viele absolutistische Tyrannen, Größenwahnsinnige und Massenmörder gegeben, Debile ebenso wie Schwächlinge und Versager, aber in der neunzehn Arkon-Jahrtausende umfassenden Geschichte hatte die Zahl der Verantwortungsvollen bei weitem überwogen und die gesetzmäßige Kontrolle von Großem und Hohem Rat funktioniert. Die parlamentarische Monarchie der Arkongesellschaft an sich war nichts Schlechtes, zumal sie auf uralter Tradition fußte und der Mehrheitsmeinung entsprach – es gehörte nun mal zu den Arkoniden und ihrer Mentalität.

Feudale Strukturen und das Erbrecht von Imperator und Kristallprinz ließen sich aus terrazentriertem Blickwinkel leicht kritisieren, dabei durfte jedoch nicht unterschlagen werden, dass die Imperiale Ebene von der der untergeordneten der Einzelwelten zu trennen war. Anders ließ sich ein solches Riesengebilde wie das Tai Ark’Tussan gar nicht regieren und verwalten. Auch ohne Erbrecht hätte ein starker Präsident, beispielsweise nach früherem amerikanischen oder französischen Vorbild, oder ein Erster Administrator kaum anders handeln können als die großen Imperatoren unserer Geschichte. Unsere Herrscher an der Spitze waren von gewählten Ratsmitgliedern kontrolliert worden, hatten Rechenschaft abzulegen und konnten sogar abgesetzt werden ... (ATLAN-Buch 15)

Die Ausnahmesituation der »Dekadenzzeit« verschleierte viel zu leicht den Blick darauf, was arkonidisches Recht und Gesetz waren, denn stets bestimmten die Persönlichkeit an der Spitze, ihr Berater-Umfeld und intakte Kontrollgremien und -institutionen, ob und wann Diktatur, Korruption, Vetternwirtschaft, Machtmissbrauch und dergleichen zu unerträglichen Auswüchsen wurden oder nicht.

Diese Zusammenhänge, so Atlans Überzeugung, schien sogar ein Perry Rhodan viel zu schnell zu vergessen – oder zu ignorieren. Als Amerikaner des 20. Jahrhunderts hatte er Monarchie mit Unfreiheit und Absolutismus gleichgesetzt. Als geborener Brite oder Spanier hätte er die Sache wohl ganz anders gesehen ...

Rainer Castor