PERRY-RHODAN-Kommentar 2130


DIE ARKONIDISCHE MENTALITÄT (II)


Nicht zuletzt auch aus mehr oder weniger unbewussten Gründen des »Selbstschutzes« zur Bewahrung der eigenen Identität – Stichwort Kulturschock – blieben Terraner und Arkoniden einander fremd. Die Umstände in den Jahrzehnten der Erstbegegnung waren leider in der Tat nicht die günstigsten gewesen: Die Arkoniden waren im Verlauf der Jahrtausende derart träge und dekadent geworden, dass der positronische Mammutkomplex des »Großen Koordinators« – als »Robotregent« umschrieben – die Macht übernommen hatte.

Erstarrt in überspitzten Gesellschaftsformen, ohne Tatkraft, schlaff, blasiert, die Körper häufig zerbrechlich wirkend, von Krankheiten wie Lymphsarkom F Arkon oder Leukämie heimgesucht, als Hauptgesprächsthema das Schwärmen über unverständliche »Kunstwerke« der Simulations- und Fiktivkompositionen oder wirre Philosophien, war die von Reginald Bull geprägte Bezeichnung Schlafmützen noch eine der harmloseren Umschreibungen gewesen, arrogante Hohlköpfe eine andere.

Die Arkoniden selbst hielten sie sich dagegen für Halbgötter, allem und jedem überlegen, obwohl sie damals nur noch Handlanger eines von ihren Vorfahren geschaffenen Automaten gewesen waren. Dieses Bild war so offensichtlich und einprägsam, gleichzeitig aber derart von Vorurteilen belastet, dass eine intensivere Beschäftigung mit der dahinter stehenden arkonidischen Mentalität leider auf kleine Kreise beschränkt blieb.

Mit seiner Begeisterung für die überschäumende terranische Vitalität hatte Crest diesem Bild allerdings ebenso Vorschub geleistet wie die markante Szene auf Wanderer, als ES den Arkoniden barsch die Zelldusche verweigerte. Erst sehr viel später wurde jedoch klar, dass das »Galaktische Rätsel« in seiner besonderen Form in einer kleinen Zeitschleife durch die Rückversetzung der Kunstwelt Wanderer exakt auf Perry Rhodan zugeschnitten war (PR-Roman 1000).

Und auch die Umstände der großen Zeitschleife rings um die Entstehung der Superintelligenz und ihres Chronisten Delorian Rhodan an sich müssen berücksichtigt werden, wenn auf die angeblich vertane Chance der Arkoniden hingewiesen wird. Mit der Entstehung des PULS von DaGlausch wurden allerdings »die Karten neu gemischt«, die weitere Zukunft ist »offen« – was nicht zuletzt die Verleihung des Zellaktivators an Imperator Bostich I. bewies.

Gucky gegenüber verdeutlichte Atlan seine Einstellung an Bord der KC-1 am 28. August 2436 wie folgt: Wir haben nur dann zugeschlagen, wenn man uns keine andere Wahl ließ. Sicherlich haben das meine Vorfahren und auch ich sehr viel härter getan, als es ein Perry Rhodan jemals befohlen hat. Wenn ich kompromisslos erscheine, dann habe ich meine Gründe. Ein Sternenreich, das ganz zwangsläufig zahllose Feinde hat, kann nicht ausschließlich mit Bitten, Rückziehern und nachgiebiger Außenpolitik gehalten, geschweige denn aufgebaut werden (...)

Ihr Terraner, zu denen ich dich ebenfalls zähle, solltet aufpassen! Eure Tendenz zum duldsamen Nachgeben führt früher oder später zur Niederlage. Verantwortbare Toleranz und unbedingt erforderliche Härte müssen sich die Waage halten. Wird dieser unumstößliche Grundsatz der galaktischen Außenpolitik vernachlässigt, beginnt der Untergang ... (PR-Roman 367)

Arkoniden waren gewohnt, pragmatisch zu denken. Harmonie im Sinne von Gleichgewicht war der Kern der Dagor-Lehren, Ausgewogenheit hieß das Ziel, bei Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Hierbei handelte es sich keineswegs um eine »Friede-Freude-Eierkuchen«-Gleichmacherei, sondern das Einpendeln auf optimalem Niveau gemäß selbst regulierenden Mechanismen. Der permanente Angleichungsversuch des Ist-Zustandes an die Soll-Werte, ähnlich einem Thermostat oder bei der Selbstregulation in der Natur: je größer ein Ausschlag in die eine Richtung, desto gravierender die Gegenreaktion.

Oder, wie Atlan es an anderer Stelle formulierte: ... Koexistenz als Konkurrenz und friedliche Gegnerschaft war von uns stets akzeptiert worden: Welten mit eingeborenen Intelligenzen der Zivilisationsstufen A bis C durften kolonisiert werden, doch ab Stufe D – entsprechend einem ersten Vordringen in den Weltraum und die Beherrschung der Atomkraft – handelte es sich um eigenständige Kulturen, die in ihrer internen Autonomie zu akzeptieren waren.

Egal, ob es sich um eine kleine Baronie handelte, um Fürstentümer, eigenständige Sektoren, Fremdvolk-Koalitionen oder Machtgruppen außerhalb der Struktur von Tai Ark’Tussan wie das Solare Imperium – Staatsgebilde waren stets nur Interessenpartner; Freundschaft und Liebe gab es ausschließlich zwischen einzelnen Personen.

Man musste beispielsweise das Gehabe und die Lebensart der Mehandor-Springer nicht sympathisch finden, denn bei ihnen war alles verhandelbar, Angebot und Nachfrage bestimmten den Preis, Vertragserfüllung stand an oberster Stelle, allerdings sollte man das »Kleingedruckte« beachten ... Aber man konnte mit ihnen auskommen; sie waren keine Feinde.

Das terranisch-christliche »Liebe deinen Feind ...« nötigt einem Arkoniden alter Art wie Ceshal da Ragnaari nur ein verständnisloses Kopfschütteln ab! Fürsorge, Gnade und die Hilfe des Starken für den Schwachen war eins und entsprachen dem hehren Kodex des Arkon-Rittertums ebenso wie der allgemeinen Lebensauffassung. Ein Feind jedoch war eine Bedrohung für alle, und demzufolge musste er mit aller Härte bekämpft werden!

Pragmatismus war weder Pazifismus noch Militarismus; denn notwendige Härte zur rechten Zeit verhinderte Schlimmeres! Und das Handeln des anderen bestimmte stets das Ausmaß der eigenen Reaktion: Arkoniden, wie ich sie aus meiner Jugend kannte, hätten – um beim Beispiel zu bleiben – schon den »Streich auf die rechte Wange« abgewehrt, vom »Hinhalten der linken« ganz abgesehen ... (ATLAN-Buch 14, PR-Roman 2089)

Rainer Castor